Christian Geistdörfer

Der beste Beifahrer des deutschen Rennsports

 

Ohne Christian Geistdörfer wäre Walter Röhrl wohl nie so erfolgreich geworden. In der deutschen Rennsportgeschichte gibt es keinen besseren Co-Piloten. Unschlagbar ist auch seine Idee für Röhrls 70.

Unter den Filmemachern in Hollywood war es vor allem in den 80er-Jahren ein beliebtes Stilmittel, Blockbuster-Produktionen mit einem sogenannten „Freeze Frame“ enden zu lassen. Wenn der Held die größte Bewährungsprobe bestanden hat und gerade dabei ist, seinen Triumph auszukosten, friert die Szene ein und verwandelt sich in ein Erinnerungsfoto. Der Film hört genau in dem Moment auf, in dem es am schönsten ist. Die Endtitel rollen ins Bild, dazu erklingt ein ekstatischer Rocksong.

Für Christian Geistdörfer kam so ein Moment am Vormittag des 29. Januar 1983. Gegen 11 Uhr fuhren er und sein Fahrer in einem 310 PS starken Lancia Rally 037 vorm Fürstenpalast in Monaco vor, umringt von Kamerateams aus aller Welt und umjubelt von unzähligen Fans.

An der Seite von Walter Röhrl hatte er am Vortag zum dritten Mal die Rallye Monte Carlo gewonnen, ein Rennen, das zu den anspruchsvollsten und glamourösesten Motorsportereignissen der Welt gehört. „Die Vorfahrt zur Siegerehrung ist wirklich einzigartig“, erinnert sich Christian Geistdörfer. „Da kommen nur die drei besten Teams hin und werden vom Fürstenpaar geehrt.“

 

Christian Geistdörfer war der Souffleur von Walter Röhrl

Christian Geistdörfer ist der erfolgreichste Beifahrer der deutschen Rennsportgeschichte. Gerade hat er seine Memoiren veröffentlicht. Als Co-Pilot von Walter Röhrl holte er den Weltmeistertitel, und in nur fünf Jahren siegten die beiden vier Mal bei der Rallye Monte Carlo.

Es spricht für ihre Klasse und ihr herausragendes Zusammenspiel, dass ihnen dieses Kunststück in vier sehr unterschiedlichen Fahrzeugen gelang – im Fiat 131 Abarth, dann im Opel Ascona 400 und im Lancia Rally 037, und schließlich im Audi quattro S1. Durch taktisches Geschick und akribische Vorbereitung schafften sie es immer wieder, schneller zu sein als andere Teams in leistungsstärkeren Autos.

 

 

Dabei war es Geistdörfers Aufgabe, seinem Fahrer die Strecke gleichsam vorzulesen. Auf DIN-A5-Blöcken, die er „Gebetbücher“ nannte, notierte er alle Schikanen, seine Notizen wiederum übersetzte er während der Fahrt in genaue Anweisungen. 100 geradeaus links voll, 200 links voll, 100 Achtung! Links Eingang, 30 Kehre rechts – so hörte sich das an.

 

Der Rennfahrer und sein Co-Pilot ließen es krachen

Auf dem Umschlagbild von „Walter und ich“ lehnen die beiden auf der Motorhaube ihres Lancia, Geistdörfer streckt den Daumen der rechten Hand nach oben. In der linken Hand hält er eine Dreiliterflasche Champagner. Es ist nicht das einzige Bild in dem Buch, auf dem er mit einer Schampusflasche zu sehen ist. „Wir haben es damals richtig krachen lassen“, sagt Geistdörfer. „Ich noch mehr als der Walter.“

Als sie im Januar 1983 zur Siegerehrung vorm Fürstenpalast erschienen und die Hofkapelle eine ziemlich dissonante Version der deutschen Nationalhymne spielte, hatten die beiden Rennfahrer eine lange Nacht hinter sich. Auf die Zieleinfahrt am Vortag waren Pressetermine und ein exklusiver Lunch in einem Strandrestaurant namens „Pirate Club“ gefolgt, bei dem das Geschirr zerschlagen wurde und die Stühle durch die Gegend flogen.

IFrame
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„Es war unser Ritual, das komplette Lokal einzuheizen.“ Am Abend ging die Party bei einem Teamessen weiter, da hingen die ersten dann schon in den Seilen, doch der harte Kern zog weiter ins „Jimmy’z“, einen berüchtigten Nachtclub, in dem noch heute die Afterparty des Formel-1-Grandprix stattfindet. „Wir waren ja noch voll auf Adrenalin und hätten sowieso nicht schlafen können. Ein paar Stunden später standen wir dann bei der Siegerehrung – mit kleinen, roten Augen.“

 

 

Geistdörfer strahlt, wenn er daran zurückdenkt. Doch das Leben ist kein Hollywood-Film, es geht einfach weiter, auch nach den größten Triumphen. Nur die Erinnerungsfotos bleiben, etwa 100 davon bebildern nun die Memoiren des Beifahrers. Sie zeigen kantige Rennautos, die sich durch skandinavische Eislandschaften und afrikanische Savannen pflügen, Zieleinfahrten in Neuseeland und Italien, Siegerehrungen am Fuß der Akropolis.

 

Der Rallyesport lockte Hunderttausende Zuschauer an

Viele Aufnahmen vom Renngeschehen und seinen Nebenschauplätzen strahlen aus heutiger Sicht eine eigentümliche Unbeschwertheit aus. Mit seinem spitzbübischen Lächeln wirkt Geistdörfer oft wie ein Schuljunge, den man in der Spielzeugabteilung zurückgelassen hat.

Es sei ein ziemlicher Akt gewesen, die alten Aufnahmen in druckfähiger Qualität aufzutreiben, erzählt er. Geistdörfer ist inzwischen 63, sein jungenhaftes Lächeln hat er sich bewahrt.

Im Buch konzentriert er sich auf die Jahre mit Walter Röhrl von 1977 bis 1987 – eine Zeit, über die es eine Menge zu erzählen gibt. Der Rallyesport stand damals auf seinem Zenit, die Rennen lockten Hunderttausende Zuschauer an, die Hersteller erprobten neue Technologien wie den Allradantrieb, die Fahrer waren Weltstars. „Ich musste mich ganz schön einschränken“, sagt Geistdörfer. „Im Prinzip hätte ich über jedes Jahr ein eigenes Buch machen können.“

 

 

Seine Erzählung endet mit dem Ausstieg von Audi aus dem Rallye-Sport nach einer Änderung im Reglement, die nur noch seriennahe Fahrzeuge zuließ. Dabei war sein Leben danach nicht weniger turbulent. Wie ein Bundesligaprofi, der zum Spielerberater wird, bleibt er seinem Metier treu.

Geistdörfers zweite Existenz als Geschäftsmann und Handlungsreisender in Sachen Motorsport beginnt im Grunde schon während seiner aktiven Beifahrerlaufbahn. „In den vier Jahren bei Audi habe ich schon viel nebenher gemacht“, sagt Geistdörfer.

 

Im Audi quattro Sport bei König Juan Carlos vorgefahren

Er gründet eine Fahrschule, entwickelt Sondermodelle mit aufgeladenen Motoren, verspiegelten Scheiben und Sitzbezügen aus Büffelleder, und er richtet einen Promi-Pool ein, der im Prinzip das VIP-Marketing des Herstellers begründet. Zudem hilft er Audi dabei, den überteuerten Audi quattro Sport an den Mann zu bringen, indem er damit bei prominenten Kunden wie Herbert von Karajan oder dem spanischen König Juan Carlos vorfährt und höchstpersönlich für die herausragenden Fahreigenschaften des 200.000-Mark-Autos wirbt.

„Ein Serienmodell, das es in 4 Sekunden von null auf 100 schafft, war damals konkurrenzlos“, erinnert sich Geistdörfer. „Da ging schon was vorwärts.“ Von den 200 gebauten Exemplaren werden mit seiner Unterstützung rund 150 Stück verkauft.

Geistdörfer wird sich mit Audi jedoch nicht über eine dauerhafte Beschäftigung einig, das Angebot ist ihm zu mickrig. Er wechselt zu Mazda und beendet seine aktive Laufbahn nach zwei frustrierenden Jahren im Team des japanischen Herstellers. Damals ist er 37 Jahre alt. „Ich hatte allerdings keine Bange, dass es für mich nicht weitergeht“, sagt er. „Es gehört zu den Qualitäten eines Beifahrers, beweglich zu sein.“

 

Ein Kollaps sorgt für den Rückzug aus dem Formel-1-Zirkus

Geistdörfer hat viele Ideen und gute Kontakte. Er gründet eine Event-Agentur und veranstaltet Golfturniere. Für Mercedes konzipiert er ein Fahrsicherheitstraining, für BMW entwickelt er einen Rennsimulator, mit dem er durch die neuen Bundesländer tingelt. „Die Leute standen schon morgens um sieben Schlange, so heiß waren sie darauf.“

Im Berliner Umland veranstaltet Geistdörfer eigene Fahrtrainings, die bei Außendienstmitarbeitern von Firmenkunden besonders beliebt sind. Damit ist allerdings Schluss, als die Kosten für die Veranstaltungen nicht mehr als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können. Heute wird das Gelände hin und wieder vom Sondereinsatzkommando der Polizei und von privaten Sicherheitsfirmen zu Trainingszwecken genutzt.

Für ein paar Jahre koordiniert er die Sponsoring-Aktivitäten der Warsteiner-Brauerei und gelangt so zur Formel 1. Er soll dem russisch-kanadischen Milliardär Alex Shnaider dabei helfen, ein eigenes Team aufzubauen, das mit einer russischen Lizenz fahren soll. „Das war einerseits eine faszinierende Erfahrung“, sagt Geistdörfer, „andererseits habe ich damit meine Gesundheit ruiniert.“

Drei Jahre lang durchquert Geistdörfer die Zeitzonen, wie andere morgens zu Arbeit fahren. Er ist bei jedem Grand Prix dabei und reist oft nach Russland. Nach dem Großen Preis von Kanada bricht er zusammen und landet auf der Intensivstation. Geistdörfer braucht eine sechsmonatige Auszeit, der Kollaps markiert für ihn das Ende der Zusammenarbeit mit Shnaider und den Rückzug aus dem Formel-1-Zirkus.

 

Im Audi mit 160 Sachen gegen eine Mauer gekracht

Christian Geistdörfer ist es gewohnt, Rückschläge wegzustecken. Im Laufe seiner Rallye-Karriere hat er mehrere schwere Unfälle überstanden. „Der Motorsport ist halt saugefährlich“, sagt er. „Da kann immer was passieren.“ Mal versagt die Technik, mal liegt es am Fahrer, mal sind es die Straßenverhältnisse. Bei der Rallye San Remo von 1984 kracht der Audi bei einer Nachtfahrt mit 160 Sachen gegen eine Mauer: Aquaplaning.

„Du siehst das Wasser nicht, und in Sekundenbruchteilen geht es rund wie in einer Waschmaschine.“ Auf solche Situationen könne man sich nicht einstellen. „Die kommen einfach so“, sagt Geistdörfer und schnippt mit dem Finger. Man müsse daher lernen, denselben Fehler nicht zweimal zu machen.

Nach seinem Abschied von der Formel1 gerät Christian Geistdörfer über Umwege nach Nigeria, wo er den Gouverneur der Provinz Cross River beim Bau einer Gated Community für Mitarbeiter ausländischer Ölfirmen berät – ein Zwei-Milliarden-Dollar-Projekt, das inzwischen abgeschlossen ist, auch wenn Geistdörfer noch immer ein Dauervisum für Nigeria hat.

Seit 2012 ist er als Markenbotschafter für Hugo Boss unterwegs und unterstützt die Klassikabteilung von Volkswagen bei der Ausrichtung von Oldtimer-Rennen. Darüber hinaus gehört er zu den Organisatoren eines Festivals für Rallye-Klassiker in der Eifel. „Da kommen 60.000 Zuschauer, um alte Autos wie den Lancia Stratos oder den Ford Escort noch einmal in Aktion zu erleben“, schwärmt Geistdörfer.

 

Zum 70. Geburtstag gibt es einen Rollator mit Breitreifen

Den Entwicklungen im kommerziellen Rallyesport steht er dagegen kritisch gegenüber. Der Filz sei undurchdringlich geworden, sagt er, alles drehe sich nur noch ums Geschäft und nicht mehr um den Sport. Statt um Ausdauer und um taktisches Geschick gehe es heute vor allem darum, spektakuläre Fernsehbilder zu produzieren. „Das haben wir damals noch ganz anders erlebt“, sagt er.

Seinen alten Teamgefährten trifft Geistdörfer regelmäßig bei Motorsportveranstaltungen und Nostalgie-Events, die Autogramme des Ausnahmeduos sind noch immer sehr begehrt. Für ihn als eher depressiven Menschen sei es ein Glücksfall gewesen, einen Sunnyboy wie Geistdörfer an seiner Seite zu haben, erinnerte Walter Röhrl sich kürzlich in einem Interview.

Seine Rennfahrerlizenz hat Walter Röhrl inzwischen abgegeben. Nächstes Jahr feiert er seinen 70. Geburtstag, und Christian Geistdörfer weiß auch schon, was er ihm schenkt: einen Rollator mit Breitreifen.

 

 | Von Heiko Zwirner
 

 

 

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Walter Röhrl Fan Lëtzebuerg

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